Kognitive Produktion

Digitalisierung menschlichen Fachwissens: (K)ein Leitfaden für den Abschied von Unternehmens-Gurus, sondern ein digitaler Buddy

In einer Zeit, in der die Industrie sich wandelt zu einer Wissensgesellschaft, wird deutlicher denn je: Der Mensch ist die wertvollste Ressource im Unternehmen. Während einst die Arbeit und das Kapital die knappen Güter waren, liegt heute der Fokus auf dem Menschen selbst – auf seinen Fähigkeiten, seinem Wissen und seiner Erfahrung, seine Expertise. Die Expert:innen, sie sind die Gurus ihrer Branche, die Meister ihres Fachs und die ultimativen Wissensquellen für alles, von der feinsten Nuance bis hin zu den größten Herausforderungen.

Wenn die Fachpersonen gehen: Das große Drama

Doch was passiert, wenn diese Titanen der Unternehmen beschließen, neue Abenteuer zu suchen oder in den Ruhestand zu treten? Wenn Expert:innen das Unternehmen verlassen, nehmen sie nicht nur ihre Kaffeetassen und Pflanzen mit, sondern auch einen wertvollen Schatz an Erfahrungs- und Fachwissen. Diese Art von Wissen ist unbezahlbar und oft nicht zu ersetzen.

Bei der digitalen Wissenssicherung und -strukturierung können Ontologien helfen. Bei diesem Fachterminus handelt es sich vereinfacht gesagt um ein Modell zur Formalisierung von Wissen. Ursprünglich entstammte der Begriff der Philosophie und betrachtete die Lehre des Seins.

Der Begriff in der Informatik bezeichnet dagegen Wissensmodelle, aufgebaut nach dem Muster: Subjekt – Prädikat – Objekt. Im Grunde genommen verwenden Ontologien vereinfachte Sätze, um komplexe Wechselbeziehungen zu repräsentieren. Also ich könnte zum Ausdruck bringen: Fraunhofer IWU (Subjekt) – liegt in (Prädikat) – Chemnitz (Objekt), und würde damit den Standort eines Fraunhofer-Instituts ausdrücken. Klingt nicht mehr so kompliziert, oder?

Mehr noch, einzelne Daten können Teil in einem größeren Zusammenhang von Information werden, damit wir eben besser die Bedeutung verstehen. Ein Minimalbeispiel: Das Fraunhofer IWU verfügt an seinen Standorten in Dresden und in Chemnitz über den SeamHEX 3D-Drucker. Am Fraunhofer IEG in Bochum wiederum gibt es einen FDM-Drucker. Es ergibt sich nun folgendes, in der Abbildung dargestellte Modell. Die Frage nach Fraunhofer-Standorten in Sachsen, die über einen 3D-Drucker verfügen, würde im Ergebnis Chemnitz und Dresden hervorbringen, weil bekannt ist, dass beide Städte in dem genannten Bundesland liegen. Es ist nicht erst eine Aufzählung aller sächsischen Städte notwendig.

Was lange währt, wird endlich gut?

Relationale Datenbanken gelten als die „klassische Wahl“. Daten sind dort in mehreren Tabellen gespeichert und stehen miteinander in Verbindung. Ein elementarer Nachteil ist die mangelnde Flexibilität. Doch, nichts ist so beständig wie der Wandel.

Das Besondere an Ontologien ist die Möglichkeit der adaptiven Modellerweiterung. Nicht nur die Produktion sieht sich einer zunehmenden Individualisierung konfrontiert, so durchläuft auch der menschliche Intellekt als subjektives Mess- und Verarbeitungsinstrument einer gewissen Veränderung. Es heißt, man lernt nie aus. Gleiches müsste also auch für ein Modell zur Repräsentation dieses Wissens und dieser Erkenntnisse gelten.

Ontologien können als konzeptuelles Daten- oder Wissensmodell bezeichnet werden. In einer Welt, in der Daten zunehmend im Kontext von KI an Bedeutung gewinnen, können diese Modelle nicht nur helfen das Fachwissen formal zu repräsentieren, sondern Zahlen als Teil eines größeren Beziehungsgeflechts von Informationen einzuordnen. Am Ende können wir dann besser verstehen, was diese Zahlen (eigentlich) bedeuten, aber wir bringen vor allem Daten und Wissen zusammen.

Ontologien: Die Detektive der Logik in der Fabrik der Zukunft

Ein weiterer Vorteil ist, dass die Sprache und der Syntax von Ontologien eine logische Konsistenzprüfung zulässt. Stellen wir uns eine vereinfachte Prozesskette bestehend aus den Produktionsschritten A, B und C vor, sowie eine Vorrangrelation. Wird nun definiert A -> B, B -> C, so würde die Erstellung von C -> A eine Inkonsistenz in der Modellierung nach sich ziehen. Es wird geschlussfolgert, dass A -> C gilt und damit C -> A im Konflikt zu der mit der Relation zugewiesenen Eigenschaft steht, im Konkreten hier die der Transitivität.

In einer Zeit, in der das Wissen als Währung der Zukunft gilt, sind Ontologien wie die Archivare in der Bibliothek des Fortschritts. Mit einer Ontologie kann Wissen strukturiert formell und semantisch repräsentiert werden. Ein einheitliches Vokabular schafft weiteres Verständnis. Eine kurze Erläuterung am Beispiel der Inbetriebnahme von Maschinen: ein Produkt durchläuft mehrere Phasen, von den ersten Kundengesprächen, über das Design, die Konstruktion, den Einkauf und der Montage. Die Inbetriebnahme umfasst Tätigkeiten, um die Maschinen in den bestimmungsgemäßen Betrieb zu versetzen. Konstruktionsfehler oder falsche Bestellungen können vor allem zu diesem fortgeschrittenen Projektstand zu erheblichen zeitlichen und kostenseitigen Aufwand führen.

Es ist wie mit vielen Erfahrungswerten: rückblickend verstehen, aber noch nach vorn hinten leben. Soll heißen, Erfahrungswissen so sichern, dass die daraus erwachsenden Erkenntnisse über alle Abteilungen verstanden werden. Und das am besten, indem man sich einem abteilungsübergreifenden Vokabular bedient. Auf diese Weise können wir sicherstellen, dass wir nicht nur im gleichen Buch lesen, sondern auch die gleiche Sprache sprechen – und das nicht nur in der Bibliothek des Fortschritts, sondern in jedem Kapitel unseres unternehmerischen Abenteuers.

Die Frage ist nun wo finde und verwende ich Ontologien? Betrachten wir Ontologien als Methode, die in eine beliebige softwaretechnische Anwendung implementiert werden können, von der adpativen Checkliste bis hin zu einem unternehmensspezifischen Chatbot als digitalen Kollegen.

Brauchen Sie einen Übersetzer?

Wir entwickeln unternehmensspezifische Ontologien auf internationalen Standards für interoperable Modelle. Wir helfen gern bei der Wissenserhebung und -strukturierung, der Erstellung von Ontologien und dessen softwaretechnischen Implementierung.

In unserem nächsten Beitrag widmen wir uns der Anwendung von Ontologien für die Produktion. Folgen Sie uns also gern für mehr. Falls in der Zwischenzeit Rückfragen entstehen, beantwortet diese gerne unsere Kollegin Frau Manja Mai-Ly Pfaff-Kastner: manja.mai-ly.pfaff-kastner@iwu.fraunhofer.de.


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Abbildungen: © Fraunhofer IWU

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Manja Mai-Ly Pfaff-Kastner

Manja Mai-Ly Pfaff-Kastner
Gruppenleiterin "Wissensmodelle und Assistenz"
Abteilung "Digitalisierung in der Produktion"

Fraunhofer IWU
Reichenhainer Str. 88
09126 Chemnitz

Telefon: +49 371 5397 1394
E-Mail: manja.mai-ly.pfaff-kastner@iwu.fraunhofer.de

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