Kognitive Produktion

Interoperabilität als organisatorisches Problem

Warum I4.0-Standards ihr Versprechen nicht eingelöst haben.

Industrie 4.0 braucht Interoperabilität braucht Standardisierung braucht Standardisierungsorganisationen (SDOs). Es hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass nicht ein einzelner Standard alle Use-Cases abdecken kann. Ein solcher Monolith ist auch gar nicht notwendig – in einer idealen Welt würden separate Organisationen disjunkte Themenfelder bearbeiten. Das vermeidet Konkurrenz untereinander und unter den jeweiligen Spezifikationen. SDOs könnten kooperieren, wo Interaktionsszenarien einen Datenübergang realistisch werden lassen. Eine gute Einordnungshilfe für diese Abgrenzung könnte die RAMI 4.0 bieten: Entlang der drei Dimensionen des Ebenenmodells lässt sich ein jeder Standard einordnen und mit ihm die SDO, die ihn spezifiziert. Die Realität sieht anders aus. Das liegt vor allem an nicht-technischen Faktoren:

  1. Mission Creep: Der Scope von Standards tendiert zur Ausweitung, sobald Nutzern auffällt, dass ihr Usecase X nicht von ihrem Lieblingsstandard Y abgedeckt wird. Es wird also eine Erweiterung spezifiziert, die dann in Konkurrenz zu einem bestehenden Werk stehen kann.
  2. Marktinteressen: Vendor-Lock-In kann ein hochprofitables Geschäft sein, das von Standardisierung und neuen Mitbewerbern gefährdet wird.
  3. Vereinsmeierei: Obwohl die Kooperation zwischen Vertretern unterschiedlicher Parteien in aller Regel kollegial verläuft, kann die gefühlte Dominanz einer Partei zu Konflikten und zur Gründung von neuen Körperschaften führen.
  4. Lokale Verteilung: Wirtschaftsministerien in aller Welt ist klar, wie wichtig die Fähigkeit ist, Normen setzen zu können. Deshalb finden sich Organisationen ähnlichen Scopes in unterschiedlichen Regionen.

Diese Faktoren können die Vielzahl an STOs erklären, die im Umfeld von Industrie 4.0 operieren.

IDTA (Industrial Digital Twin Association)Asset Administration Shell
OMP (Open Manufacturing Platform)BAMM/I4.0 Core Information Model
OI40A (Open Industry 4.0 Alliance)Reference Architecture
Catena-X Semantic Hub (Aspect Models)
OPC FoundationOPC UA
AutomationML e.V.AutomationML
Plattform Industrie 4.0RAMI 4.0
ECLASS e.V.ECLASS
Beispielhafte Auflistung von SDOs in der Welt der digitalen Produktion.

Was die Aufführung auslässt, sind große Normierungsorganisation wie NAMUR, DIN oder ISO. Ebenso fehlen beispielsweise die Organisationen der Feldebene (Profibus/Profinet International, Ethercat Technology Group) und solche aus dem asiatischen und amerikanischen Raum. Die Heterogenität bleibt kaum beherrschbar – und das obwohl Standardisierung bereits in den ersten Veröffentlichungen der Plattform Industrie 4.0 als erfolgskritisch erkannt wurde.

Was zu tun bleibt

Selbst große Unternehmen haben nicht die personelle Kapazität in allen obengenannten Organisationen jede Entwicklung zu prüfen, gegen Existierendes abzugrenzen und in ihren Produkten zu implementieren. Die Situation heute ist also gar nicht so anders als zu der Zeit, als jeder Hersteller noch ein eigenes Protokoll implementierte. Integration bleibt das Haupthindernis für Interoperabilität zwischen Herstellern, Domänen, Lebenszyklusphasen und Generationen.

Darstellung Anzahl Integrationsprobleme und Anzahl Standards, © Fraunhofer IWU

In der oben stehenden Graphik ist aufzeigt, dass sich die Anzahl der Integrationsprobleme mit der Anzahl an Standards überproportional entwickelt. Aus all den Technologien eine schlüssige, effektive und möglichst schmale Architektur zusammenzusetzen ist eine Herausforderung, die jedes große produzierende Unternehmen in den kommenden Jahren wird lösen müssen. Bei der Auswahl reicht es nicht, nur Standards zu lesen: Was spezifiziert ist und was in Produkten implementiert ist, ist nicht deckungsgleich. Dieses Wissen allerdings erlangt man erst durch Erfahrung und Kooperation. Auch deshalb sind Anwender-Communities wie umati wichtig, die aber ergänzt müssen durch Expertise von Außen. Beurteilen zu können, welche Technologien für welche Use Cases geeignet sind und auf Erfahrungen mit der Toolchain zurückgreifen zu können ist vor allem der angewandten Forschung möglich. Hier werden sich entwickelnde Technologien in Forschungsprojekten vertestet – also Erkenntnisse geschaffen, die notwendig sind, um die Menge der Integrationsprobleme zunächst zu verkleinern und schließlich zu lösen.

Für Kommentare und Rückfragen stehen Ihnen die Kollegen der Abteilung Digitalisierung in der Produktion des Fraunhofer IWU gerne zur Verfügung. Wenden Sie sich dazu gerne an den Abteilungsleiter Herrn Ken Wenzel: ken.wenzel@iwu.fraunhofer.de.

Arno Weiß

Arno Weiß, M.Sc.
ehem. Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Abteilung "Digitalisierung in der Produktion"

Fraunhofer IWU
Reichenhainer Str. 88
09126 Chemnitz

Ken Wenzel

Dr.-Ing. Ken Wenzel
Abteilungsleiter
"Digitalisierung in der Produktion"

Fraunhofer IWU
Reichenhainer Str. 88
09126 Chemnitz

Telefon: +49 371 5397-1369
E-Mail: ken.wenzel@iwu.fraunhofer.de

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