Kognitive Produktion

Cyber-Physische Automatisierung für den 0-Fehler-Karosseriebau

Im Fraunhofer Leitprojekt EVOLOPRO wurde am Fraunhofer IWU an der Flexibilisierung des Karosseriebaus geforscht. Unser Ziel:  Eine Karosseriebauanlage befähigen, selbstständig auf variierende Einzelteile zu reagieren und dadurch bedingten Ausschuss auf null zu reduzieren. ML-Verfahren und Aktoren sollen die Karosseriebauanlage kontinuierlich anpassen und toleranzgerechte Baugruppen ohne Manuelle Eingriffe ermöglichen.

Diese Vision eines 0-Fehler-Karosseriebaus wurde im Projekt als Proof-of-Concept für das Fügen zweier Karosseriebauteile demonstriert. Dank umfangreicher cyber-physischer-Automatisierung kann der Demonstrator für jede Baugruppe eine passende Einstellung ermitteln, die Fügevorrichtung entsprechend anpassen und damit Ausschuss proaktiv vermeiden.

In der Industrie wird dieser Prozess Geometriepflege genannt und beschreibt die stetige Anpassung der Karosseriebaulinien auf systematische Schwankungen. Die Geometriepflege sichert korrekte optische und funktionale Merkmale der Karosserie. Dennoch erfordert sie neben enormen Erfahrungswissen auch viel Zeit und Produktionsunterbrechungen, wenn die Linie auf Schwankungen angepasst werden muss.

Herausforderungen Geometriepflege-Prozess
 © Fraunhofer IWU

Im Projekt konnte der Geometriepflege-Prozess radikal beschleunigt werden, indem Lösungen für die nachfolgenden typischen Herausforderungen gefunden wurden:

  1. Automatische Ermittlung von Stellmaßnahmen. Der Effekt von Stellmaßnahmen auf die finale Geometrie kann aktuell nicht durch Analysewerkzeuge vorhergesagt werden. Dadurch muss auf Erfahrungswissen zurückgegriffen werden, um geeignete Stellmaßnahmen zu ermitteln.
  2. Automatisierbare Stellglieder: Die Ausbringung der Stellmaßnahmen in die Fügevorrichtung ist ein händischer Prozess. Dabei wird die Position der Einzelteile in der Fügevorrichtung durch Abstandsplättchen (sogenannte Shims) angepasst, wofür die Produktion unterbrochen werden muss. Von außen regelbare Stellglieder sind noch nicht etabliert.
  3. Digitale Kommunikation der Stellmaßnahmen zur Fügevorrichtung: Da bisher die Fügevorrichtung händisch angepasst werden musste, existiert keine digitale Verbindung zwischen Analyse (1) und etwaigen Stellgliedern (2).
Lösungen Beschleunigung Geometriepflege-Prozess

Ganzheitliche Steuerung der Geometriepflege: Der Geometriepflege wird bisher mit verschiedenen (Analyse-)Werkzeugen unterstützt. Ein Werkzeug zur ganzheitlichen Analyse und Ausbringung von Stellmaßnahmen existiert nicht.

Für alle vier Herausforderungen wurden am IWU innovative Lösungen gefunden und in den Demonstrator integriert:

  1. CPA zur automatischen Ermittlung von Stellmaßnahmen: Die Coupled Process Analysis (CPA) erlaubt die schnelle Prognose (<1s) des Effekts von Stellmaßnahmen. Dies gelingt durch den Aufbau eines effizienten mathematischen Ersatzmodells, welches aus Simulations- und realen Messdaten abgeleitet wird.  
  2. E-Shims als automatisiere Stellglieder: Die von der CPA vorgeschlagenen Stellmaßnahmen werden an kleine mechatronische Shims (e-Shim) kommuniziert, wodurch die Fügevorrichtung ohne Produktionsunterbrechung für jede Baugruppe angepasst werden kann.
  3. OPC UA als Schnittstelle zur Kommunikation zwischen CPA und E-Shims: Die Kommunikation zwischen dem Echtzeitsystem SPS und dem Analysewerkzeug CPA wird über OPC UA realisiert. Die Kopplung geschieht über die CPA WebApp.
  4. CPA WebApp zur ganzheitlichen Steuerung der Geometriepflege: In der CPA WebApp werden alle zur Regelung der Geometriepflege benötigten Informationen in einer Oberfläche zusammengeführt. Basierend auf einer automatisierten Prognose von Formabweichungen kann eine Optimierung ausgelöst werden und via OPC UA an die E-Shims delegiert werden.
 © Fraunhofer IWU
Lösung ermöglicht Geometriepflege in Losgröße 1

In der Kombination dieser vier Komponenten entstand eine Lösung, welche die Geometriepflege der Baugruppe für variierende Einzelteile in Losgröße-1 ermöglicht. Dank der umfassenden Cyber-physischen Automatisierung konnte der Zeitbedarf für die Geometriepflege gleichzeitig um mehr als 90 Minuten reduziert werden. Ein Vergleich des bisherigen Geometriepflege-Prozesses mit der entwickelten Lösung ist nachfolgend am Beispiel der in der Fügevorrichtung gefügten Innenbaugruppe skizziert.

 © Fraunhofer IWU

Das Projektergebnis demonstriert eindrucksvoll die Machbarkeit des 0-Fehler Karosseriebaus und die Vorteile einer Cyber-physische Automatisierung. Die gewonnen Erfahrungen zur intelligenten Verknüpfung von Analysewerkzeugen mit Fertigungsprozessen ermöglichen eine gesteigerte Flexibilität. Diese ist auf viele Anwendungen der diskreten Fertigung applizierbar.

Für neue spannende Herausforderungen aus Ihrem Anwendungsgebiet sind wir dankbar und freuen uns auf einen Austausch und einen Besuch des Demonstrators am IWU in Dresden. Für inhaltliche Rückfragen steht Ihnen der Abteilungsleiter Herr Ken Wenzel gerne unter folgender Mailadresse zu Verfügung: ken.wenzel@iwu.fraunhofer.de.


Headerbild: © Fraunhofer IWU

Carl Willy Mehling

Dipl.-Ing. Carl Willy Mehling
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Abteilung "Digitalisierung in der Produktion"

Fraunhofer IWU
Nöthnitzer Str. 44
01187 Dresden

Telefon: +49 351 4772-2633
E-Mail: carl.willy.mehling@iwu.fraunhofer.de

Carl Willy Mehling

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Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Abteilung "Digitalisierung in der Produktion"

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