Kognitive Produktion

Spannende Einblicke: Sensorische Gesenkspannsysteme beim Schmieden

Schmiedeprozesse sind extrem komplex: Mit höchster Kraft und Dynamik werden in kürzester Zeit komplizierte Geometrien aus glühendem Stahl hergestellt. Die dafür notwendige Anlagentechnik ist auf Robustheit und Langlebigkeit ausgelegt, um den immensen Belastungen zu widerstehen, die während des Schmiedeprozesses auftreten. Entsprechend robust geht es auch zu, wenn Schmiedegesenke mit Schlagkeilen in den Hämmern gespannt werden. Der Einsatz von krangeführten Rammen, Impulshämmern und Behelfswerkzeugen ist keine Seltenheit, der Automatisierungsgrad des Spannvorganges ist gering. Bis ein Schmiedegesenk korrekt gespannt ist, werden häufig mehrere Spann- und Nachspannvorgänge benötigt. Dabei ist das Beschädigungspotenzial für Spannsystem, Gesenk und Maschine hoch, da keinerlei sensorische Überwachung stattfindet, um zum richtigen Zeitpunkt den Spannprozess zu beenden.

Die Forschenden am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik in Chemnitz haben daher analysiert, welchen Einflüssen und Änderungen die Spannsituation von Schmiedegesenken unterliegen und wie diese für eine künftige Sensorintegration und Optimierung der Gesenkspannung genutzt werden können.

Das Spannen von Schmiedegesenken ist komplex

Das Rüsten von Schmiedewerkzeugen stellt einen komplexen Prozess dar, der aufgrund der spezifischen Produktions- und Randbedingungen des Hammers zahlreiche Iterationen erfordert. Eine wesentliche Ursache dafür ist die hohe Anforderung an die Robustheit der Systeme. Automatisierungslösungen oder Spannsysteme, welche aus einer Vielzahl von Einzelteilen aufgebaut sind können für große Schmiedehämmer kaum eingesetzt werden, da das Risiko des Ausfalls dieser Systeme durch Beschädigungen beim Spannen oder im Schmiedeprozess unverhältnismäßig hoch ist. Oftmals bleibt der Einsatz von Schlagkeilsystemen mit Beilagen die einzige Alternative, um große Gesenke sicher im Ober- und Unterbär zu fixieren. Entsprechend erfolgt der Spannprozess mit äußerst robusten und teilweise simplen Werkzeugen: Die Schlagkeile werden durch den Einsatz von mechansichen, hydraulischen oder pneumatischen Keilrammen positioniert. Eine exakte Beaufschlagung der Gesenke mit Spannkraft ist damit kaum möglich, was zur Folge hat, dass die Qualität des Spannprozesses stark von der Fachexpertise der Werker abhängt.

Mangelnde Reproduzierbarkeit und Spannprozesse, bei denen die Spannmittel oder sogar das Gesenk beschädigt werden sind keine Seltenheit – das soll sich künftig ändern. Am Fraunhofer IWU wurde daher im Forschungsprojekt „sGs – Sensitives Gesenkspannsystem“ die Spannsituation von Schmiedegesenken in Hämmern simulativ und experimentell analysiert. Die Durchführung solcher Untersuchungen, die in der Literatur bislang kaum zu finden sind, stellt einen bedeutenden Beitrag dar, insbesondere angesichts der rauen Umgebungs- und Prozessbedingungen im Schmiedeumfeld, die die messtechnischen Möglichkeiten stark limitieren.

Ein Blick in die Spannstelle

Für eine umfassende Analyse der Spannsituation, Spannkraftänderungen und Einflussgrößen wurden im Forschungsprojekt umfangreiche simulative und experimentelle Untersuchungen durchgeführt. Dazu konnte ein Messkonzept entwickelt und systemisch realisiert werden. Mit diesem Messsystem ist es möglich, die Spannkraft, deren Verteilung, Spannkraftänderungen, Beschleunigungen und Temperaturen während des Spannprozesses sowie während des Schmiedeprozesses zu messen. Das resultierende Messsystem im Einsatz ist in Abbildung 1 dargestellt.

Abbildung 1: Gegenschlaghammer im Produktionseinsatz mit montiertem Messsystem am Untergesenk, © Fraunhofer IWU

Dabei konnte in den Messungen bestätigt werden, was FEM-Simulationen gezeigt haben: Die Reaktionskraftverteilung an den Spannflächen zwischen Gesenk und Bär ist sehr heterogen und stark von den wirkenden Belastungen am Gesenk abhängig (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2: Simulationsergebnisse der Reaktionskraftverteilung an den Spannflächen bei unterschiedlichen Belastungszuständen, © Fraunhofer IWU

Ein Resultat dieser starken lokalen Belastungen sind immense Verschleißerscheinungen an den Spannflächen aller beteiligter Komponenten. Fresserscheinungen und Oberflächenzerrüttung bis hin zu plastischer Deformation konnte bei den experimentellen Analysen bereits nach wenigen Spannprozessen und Hammerschägen beobachtet werden. Die Folgeeinflüsse dierser Effekte und anderer Einflussparameter auf den Spannprozess konnten im Laufe des Projektes analysiert und klassifiziert werden. Als Bewertungsbasis wurden fünf spannprozessbeschreibende Kennwerte identifiziert, für welche eine eine Einflussanalyse durchgeführt wurde:

  • Spannkraft
  • Spannkraftverteilung
  • Spannkonsistenz
  • Reproduzierbarkeit
  • Positionierungsqualität

Die Ergebnisse dieser Einflussanalyse sind in Abbildung 3 dargestellt. Dabei kann festgehalten werden, dass insbesondere die geometrischen Einflussparameter Bär- und Gesenkwinkel sowie Änderungen in den Beilagen und der Konaktierung (bspw. durch die oben beschriebenen Effekte) den Spannprozess immens beeinflussen. Hinzukommend ist die Methode, wie die notwendige Spannkraft aufgebracht wird entscheidend für einen gelingenden Spannprozess.

Automatisierung und Robustheit: Neues Spannkonzept

Anhand der experimentellen und simulativen Untersuchungen konnte abschließend innerhalb des Projektes ein Konzept für eine neue Spannmethode erarbeitet werden. Dabei wurden den beiden wesentlichen Anforderungen (Automatisierung und Robustheit) dadurch Rechnung getragen, dass ein modularer Aufbau die temporäre Kopplung einer Spannkraftaufbringenden Einheit mit einem monolitisch ausgeführten Spannkeilsystem ermöglicht. Somit kann der Spannprozess automatisiert erfolgen und die Spannkomponenten sind dennoch bestmöglich vor Beschädigungen geschützt.

Abbildung 3: Ergebnisse der Einflussanalyse von 25 Parametern auf den Gesenkspannprozess, © Fraunhofer IWU

Sollten Sie Fragen oder Anmerkungen haben, freuen wir uns über eine Kontaktaufnahme.

Robin Kurth

Robin Kurth
Gruppenleiter
"Umformmaschinen"

Fraunhofer IWU
Reichenhainer Str. 88
09126 Chemnitz

Telefon: +49 371 5397-1490
E-Mail: robin.kurth@iwu.fraunhofer.de

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"Umformmaschinen"

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