Kognitive Produktion

CPS-Talk: Gruppenleiter Christer Schenke im Gespräch

Christer Schenke ist Gruppenleiter der Gruppe Modellbasierte Entwicklung selbstoptimierender Produktionssysteme am Fraunhofer IWU. In unserem Gespräch stellt er die Arbeit seiner Gruppe und die einzelnen Expertisen seiner Gruppenmitglieder vor. Außerdem zeigt er auf, was ein digitaler Zwilling ist und welche Vorteile es hat, diesen bereits früh in die Maschinenentwicklung einzubinden.

Hi Christer, du bist Gruppenleiter der Gruppe für modellbasierte Entwicklung selbstoptimierender Produktionssysteme des Fraunhofer IWU am Standort Dresden. Was zeichnet euch aus?

Im Kern beschäftigen wir uns als Gruppe mit dem Thema der Modellbildung für die virtuelle Inbetriebnahme (VIBN). Dazu ist es notwendig, technische Anlagen und Systeme zu verstehen und im notwendigen Detaillierungsgrad nachbilden zu können. Da bei der Komplexität der heutigen Maschinen eine Vielzahl an Kompetenzen erforderlich ist, macht bei uns nicht jeder alles. Vielmehr gibt es gewisse Spezialisierungen, die es uns ermöglichen, den vielfältigen Projekten mit dem notwendigen Know-How zu begegnen.

Ich denke, was uns auszeichnet ist, dass wir mit diesen vielfältigen Kenntnissen für einen Großteil der an uns herangetragenen Aufgabenstellungen gut gerüstet sind. Wir gehen Projekte gemeinsam an und es finden sich in der Regel fast automatisch die geeigneten Partner zusammen. Es fehlt dabei aber auch nicht an der notwendigen Neugier und Aufgeschlossenheit. Das gilt besonders auch für neue Themen und Fragestellungen. So entwickeln wir uns in den bearbeiteten Themen stetig weiter.

Welche Expertisen zeichnen deine Gruppenmitglieder aus?

Marian Noack kommt aus dem Maschinenbau. Er ist spezialisiert auf Fluidtechnik und bringt Kenntnisse aus dem Bereich der spanenden Werkzeugmaschinen mit. Dabei kümmert er sich bei uns vor allem um die konstruktiven Themen, die Maschinensimulation und ist in Projekten zur Entwicklung intelligenter Komponenten involviert. Philip Jerke betreibt vor dem Hintergrund des konstruktiven Maschinenbaus die Entwicklung sensorischer und aktiver Komponenten und vor allem anderen von Modellen in der Umgebung der VIBN. Seine Aufmerksamkeit widmet er vor allem Themen der Robotik und der Sicherheitstechnik im Bereich von Cobots. Das sind Roboter, die kollaborativ mit dem Menschen arbeiten.

Angewandte Mechanik und Bewegungstechnik bilden die Basis der Kompetenzen von Christian Gollee. Auch er ist auf den Bereich der Robotik spezialisiert und betrachtet dort vordergründig Themen der Kinematik und Kalibrierung. Seine vielseitigen Programmierkenntnisse unterstützen uns bei der Entwicklung von komplexen Modellelementen zur Erweiterung verschiedener Simulationstools. Seit Anfang des Jahres unterstützt uns Leon Hollas. Er hat sich in seinem Studium auf Simulationsmethoden des Maschinenbaus spezialisiert. Daher wird er vor allem im Bereich der Schnittstellen und der Verknüpfung verschiedener Simulationssysteme tätig werden. Ich selbst bin Mechatroniker und habe zur Erweiterung der Systemsimulation im Bereich der Umformtechnik promoviert. Wesentlicher Fokus war dabei die Betrachtung der Wechselwirkungen zwischen Maschine und Prozess und der Entwicklung von Methoden zur Verknüpfung verschiedener Simulationssysteme.

Du hast eben den Ausdruck virtuelle Inbetriebnahme genannt. Was ist das und welche Relevanz hat diese Methode in der Industrie?

Virtuelle Inbetriebnahme bedeutet, dass wir Steuerungssysteme nicht erst an der realen Maschine in Betrieb nehmen, sondern dass der Steuerungscode schon entwickelt und getestet werden kann, während sich die Maschine noch im Aufbau befindet. Dafür nutzen wir einen physikalisch basierten digitalen Zwilling (DZ) der Maschine. Dieser dient dazu, die Maschine in allen notwendigen Aspekten, mit einer für die Steuerungsinbetriebnahme ausreichenden Genauigkeit abzubilden. Durch die Anbindung des digitalen Zwillings an das Steuerungssystem der Maschine können unsere Kollegen aus der Steuerungstechnik dann die notwendigen Steuerungsalgorithmen entwickeln und überprüfen.

Außerdem können am digitalen Zwilling Zusammenhänge, Funktionen und Wechselwirkungen zwischen Komponenten und Maschinen visualisiert und damit greifbar gemacht werden. Das erlaubt es uns, frühzeitig Fehler bei geplanten Abläufen oder Funktionen zu erkennen und entsprechend darauf zu reagieren. Der digitale Zwilling zur virtuellen Inbetriebnahme wird heute vor allem am Ende der Entwicklung einer Maschine oder Anlage eingesetzt. So können, wie gesagt, die Steuerungsfunktionalitäten überprüft werden. Ich denke, wir können aber künftig auch in den früheren Phasen der Konzeption und Gestaltung der Maschinen einen deutlichen Mehrwert durch den Einsatz des DZ und der VIBN generieren.

Warum ist es sinnvoll, den digitalen Zwilling auch in den frühen Phasen der Maschinenentwicklung einzubinden?

Nun, der aktuelle Stand in der Industrie ist so, dass die Entwicklung der einzelnen physikalischen Domänen, die für die Umsetzung einer technischen Anlage betrachtet werden müssen, in großen Teilen nacheinander erfolgt. Zuerst wird die Mechanik konstruiert, dann die elektrischen Komponenten ausgelegt und am Schluss muss das Steuerungsprogramm entwickelt werden. Das bedeutet, der Steuerungsentwickler muss mit dem leben, was in den beiden vorangegangenen Entwicklungsschritten definiert wurde. Wie bereits angesprochen, birgt diese Vorgehensweise einige Herausforderungen, welche durch die parallele Entwicklung in den einzelnen Domänen umgangen werden können. So ist das Ziel, bereits vom ersten Schritt an, in der Konzeptionsphase den digitalen Zwilling einzubinden und über den Entwicklungsverlauf „mitwachsen“ zu lassen.

Damit können in allen Phasen der Produktentwicklung Abhängigkeiten erkannt werden, was im Optimalfall zu einem deutlich besseren Gesamtergebnis führt. Ein wesentlicher Vorteil dabei ist eine deutliche Zeit- und damit meist verbundene Kostenersparnis. Das ergibt sich aus der möglichen Parallelisierung der Prozesse der Entwicklung und Umsetzung von Hard- und Software technischer Anlagen. So kann beispielsweise im Entwicklungsprozess im digitalen Zwilling die Notwendigkeit eines weiteren Sensors erkannt werden. Dieser kann dann unkompliziert bereits bei der Konstruktion vorgesehen und im Steuerungssystem eingeplant werden. So kann der Aufbau erfolgen, ohne – platt gesagt – die ganze Maschine „in der Realität“ wieder auseinander nehmen zu müssen.

Welche Hindernisse gibt es dabei?

In der konkreten Umsetzung ist die Vision, dass der digitale Zwilling als Bindeglied für alle am Entwicklungsprozess beteiligten Partner fungiert. Aktuell gibt es viele Einzelsysteme in denen losgelöst voneinander die Entwicklungen in den einzelnen Domänen stattfinden. Dadurch kommt es an vielen Stellen zu einem Informationsverlust, der sich negativ auf das Gesamtergebnis auswirkt, sei es in der Funktion oder schlichtweg im Zeitbedarf. Für die sinnvolle Nutzung des digitalen Zwillings ist es jedoch elementar, dass die verschiedenen für den Aufbau der Maschine benötigten Expertisen in den digitalen Zwilling einfließen. Daher haben wir uns auch das – sicher noch ferne – Ziel gesetzt, ein Konzept für die An- bzw. Einbindung der verschiedenen am Entwicklungsprozess beteiligten Systeme zu entwickeln, um den Informationsverlust zu minimieren.

Wo gibt es deiner Meinung nach noch Optimierungsbedarf?

Eines unserer zentralen Ziele ist es, die Genauigkeit der digitalen Zwillinge, die wir für die virtuelle Inbetriebnahme einsetzen, zu steigern. Dazu ist es notwendig, die heute in der Regel rein kinematischen Modelle durch das Verhalten in den verschiedenen physikalischen Domänen zu erweitern. Ich denke da in erster Linie vor allem an das dynamische Verhalten, dass sich aus den Nachgiebigkeiten im System ergibt. Berücksichtigt man diese Eigenschaften, kann beispielsweise die Parametrierung von Antriebsreglern unter Berücksichtigung der Schwingungseigenschaften der Antriebsachse erfolgen.

Aber auch das thermische Verhalten von Komponenten spielt sowohl in der Werkzeugmaschine als auch in der Robotik eine große Rolle. Es hat einen wesentlichen Einfluss auf die Positioniergenauigkeit dieser Systeme. Wenn es uns gelingt, diese Eigenschaften in Echtzeit in den Modellen verfügbar zu machen, können wir damit eine Verbesserung bei der Vorhersage des Bewegungsverhaltens der Maschinen erreichen. Mit diesen Erweiterungen kann es perspektivisch dann auch sinnvoll sein, geeignete Prozessmodelle an die VIBN-Systeme anzubinden. Damit kann die Bearbeitungsgenauigkeit unter verschiedensten Umgebungs- und Randbedingungen vorhergesagt werden.

Danke Christer für die Vorstellung deiner Gruppe und der Vorteile der virtuellen Inbetriebnahme! Ich hoffe, dass die Leserinnen und Leser einen ersten Eindruck in die Arbeitsbereiche der Gruppe der modellbasierten Entwicklung selbstoptimierender Produktionssysteme erhalten konnten. Für Rückfragen steht Ihnen Herr Schenke gerne unter der Mailadresse christer-clifford.schenke@iwu.fraunhofer.de zur Verfügung.

Kleiner Lesetipp zum Schluss: In vierzehn Tagen stelle ich Ihnen im Interview die Gruppenleiterin der Gruppe Wissensmodellierung und Assistenz am Fraunhofer IWU Manja Mai-Ly Pfaff vor. Warum sie die Arbeitsweise ihrer Gruppe gerne als Start-Up betrachtet und welche Rolle Technologiewaben spielen, erfahren Sie am 16. Februar 2022.

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Lisa Martha Kunkel

Lisa Martha Kunkel
Blog-Redaktion/Assistentin Wissenschaftskommunikation

Fraunhofer IWU
Pforzheimer Str. 7a
01189 Dresden

E-Mail: lisa.martha.kunkel@iwu.fraunhofer.de

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Dr.-Ing. Christer Schenke

Dr.-Ing. Christer-Clifford Schenke
Gruppenleiter
"Modellbasierte Entwicklung selbstoptimierender Produktionssysteme"

Fraunhofer IWU
Pforzheimer Str. 7a
01189 Dresden

Telefon: +49 351 4772-2616
E-Mail: christer-clifford.schenke@iwu.fraunhofer.de

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