Robotik als Taktgeber in der Industrie
Schlagworte wie Fachkräftemangel, Resilienz und Rückverlagerung von Produktionsstätten sind in den Medien allgegenwärtig. Auf der Konsumentenseite sehen wir steigende Individualisierungsansprüche und die Forderung nach Kreislauffähigkeit von Produkten. Diese Herausforderungen betreffen vor allem den Industriestandort Deutschland. Um diesen Standort weiterhin zu sichern und damit die wirtschaftliche und technologische Souveränität zu gewährleisten, ist es nicht nur aus unserer Sicht notwendig, die Potenziale der Automatisierung konsequent zu erschließen. Viele der dafür notwendigen Basistechnologien sind im Bereich Industrie 4.0 mit einer starken IT-Sicht beschrieben. Um diese Technologien aber tatsächlich in der Produktion umzusetzen, bedarf es zwangsläufig auch der zweiten Dimension der Hardware.
Die notwendige flexible Hardware sind Roboter in den verschiedenen Ausprägungen, wie beispielsweise Industrieroboter, Cobots als auch Serviceroboter für Intralogistik. Trotz der großen Bedeutung von Robotern und der führenden deutschen Technologie liegt Deutschland bei der Zahl der installierten Robotersysteme weltweit mit fallender Tendenz an fünfter Stelle. Als Gründe für die zögerliche Implementierung in Unternehmen werden häufig die hohen Beschaffungskosten, notwendige Programmierexperten, das fehlende Know-How und die mangelnde Akzeptanz der Mitarbeitenden aufgeführt. Bereits bestehende Lösungen sind oftmals im gesicherten Experimentierumfeld vorhanden oder auch bei Industriepartnern vereinzelt im Einsatz. In meinem Wissenschaftsbereich Produktionssysteme und Fabrikautomatisierung am Fraunhofer IWU haben wir in diesem Kontext bereits Projekte begleitet. Wir haben Ideen entwickelt, wie Robotik in Unternehmen sinnvoll eingebracht werden kann und wollen Ihnen diese hier auszugsweise vorstellen.
Was wir schon können und was wir können werden
Bedarfe und Kompetenzen lassen sich in unserem Kontext der Forschung aus zwei Perspektiven betrachten: technology push und market pull. Dabei werden im Allgemeinen beim technology push neue Möglichkeiten durch neue Lösungen bzw. das Erlangen der Marktreife eines Produktes erreicht. Wir als Fraunhofer IWU begegnetem dem in der Vergangenheit mit Lösungen wie dem Robo Operator®, DynaSafe und Dynarisk.
Aber auch das hier auf dem Blog vorgestellte Applikationszentrum für bahngeführte Roboterbearbeitung trägt zur Entwicklung neuer Robotiklösungen bei. In die Zukunft blickend sind, unter vielen anderen, die beiden Projekte NeurOSmart und BioiC zu nennen. Das Fraunhofer-Leitprojekt NeurOSmart forscht an analogen neuromorphen Beschleunigern, die effiziente und sichere Smartsensoren ermöglichen. So wird dem steigenden Bedarf an Sensoren, dem Aufwand zur Verknüpfung ihrer Daten und damit dem Bedarf an Rechenleistung im Projekt begegnet. Die Kolleginnen und Kollegen des Fraunhofer IWU evaluieren das Sensorsystem in einem industriellen Umfeld. Im Projekt BioiC wird in den nächsten Schritten Nachgiebigkeit in die Robotersysteme eingebracht. So kann in Zukunft noch flexibler auf die Produktionsanforderungen reagiert werden.
Um im Kontext der Fraunhofer-DNA angewandte Forschung zu betreiben, sind vor allem Marktbedarfe und -anforderungen für die Entwicklung unserer Lösungen entscheidend. Im Austausch mit Industriekunden wird uns gespiegelt, dass auch jetzt die Auftragsbücher größtenteils gut gefüllt seien. Dennoch sind es Faktoren wie Fachkräftemangel und eine sinkende Bereitschaft (und ehrlicherweise Notwendigkeit) für die Arbeit in schwierigen Arbeitsbedingungen, wie bspw. Nachtschichten, die die Arbeit erschweren. Ein daraus resultierender Forschungsbedarf ist die Automatisierung von bisher nicht automatisierbaren Aufgaben. So können Mitarbeitende entlastet bzw. Lücken im Personal effizient gefüllt werden.
Allgemein gilt für den Market Pull, dass der Markt bestimmte Anforderungen hat, für die Lösungen gefunden werden sollen. Bezugnehmend auf die Robotikeinbindung in Unternehmen wird als Hemmnis auch immer wieder die Höhe der Beschaffungskosten und die unklare ROI-Perspektive genannt. In unserem Applikationszentrum für modulare Robotikintegration können Unternehmen eben jene Hürden abbauen und Integrationsmöglichkeiten von Robotern in ihrer Produktionslinie austesten. Im Kontext der einfachen Integration von Robotik wird außerdem das Thema der einfachen Implementierung aufgegriffen. So versetzen intuitive Benutzerschnittstellen sogar Laien in die Lage, Roboter zu programmieren. Genau das macht ihren Einsatz für kleine und mittelständische Unternehmen zunehmend attraktiv.
Gemeinsam voran
Um Herausforderungen wie steigende Individualisierungsansprüche, internationalen Wettbewerb, Fachkräftemangel oder flexible Produktion zu lösen, bedarf es mehr als ein Forschungsinstitut und mehr als einer zentralen Stelle. Vielmehr ist es entscheidend, dass sich die großen Player aus Wirtschaft, Forschung und Entwicklung dezentral zusammenschließen. So ist es möglich, einen Impact zu schaffen, welcher auch die vielen und essenziellen Randgebiete abdeckt. Gleichzeitig brauchen wir in Deutschland und Europa – um im Fraunhofer Wirkkreis zu bleiben – das richtige politische Investitionsumfeld, um wieder deutsche OEMs im Bereich Robotik zu etablieren. Nur damit kann der Transfer in die Industrie gelingen. Auf Seiten des Fraunhofer IWU haben wir, unter anderem in den oben genannten Projekten, in den letzten Jahren einen guten Impact erreicht. Ich bin stolz auf die Ergebnisse, die meine Mitarbeitende in tollen Teams erzielen.
Headerbild: © Fraunhofer IWU